Diesen Sketch schrieb ich 1996 für eine Veranstaltung in unserem Dorf zugunsten meiner Mädchenfußballmannschaft, die unbedingt einen eigenen Satz Mannschaftskleidung benötigte, um nicht mehr mit den abgetragenen Trikots der Jungen auflaufen zu müssen.

 

Olympische Spiele
 
 
Hedwig Rosenbaum, II. Olympiade Paris, Tennisspielerin, 1900
 
Auf der Bühne steht ein Wohnzimmertisch mit Stühlen. Hedwig Rosenbaum kommt zeitungslesend auf die Bühne, unter dem Arm einen Tennisschläger geklemmt. Sie setzt sich auf einen zum Publikum zugewandten Stuhl, legt den Tennisschläger auf den benachbarten Stuhl, unablässig weiterlesend. Schließlich klappt sie die Zeitung zusammen und klatscht sie verärgert auf den Tisch. Sie nimmt einen Brief, zieht aus dem Umschlag einen Briefbogen und faltet ihn umständlich auseinander. Kopfschüttelnd liest sie ihn, als ihre Freundin das Bühnenzimmer betritt. Unter ihrem Arm trägt sie einen Tennisschläger. Sie bleibt im „Türbereich“ stehen.
 
Freundin: Wo bleibst du, Hedwig? Seit zwanzig Minuten warte ich schon auf dich. Komm, lass uns endlich spielen.
 
Immer noch kopfschüttelnd steckt Hedwig den Brief ins Kuvert zurück und wirft ihn mit verächtlichem Gesicht zur Zeitung. Ohne die Freundin dabei anzusehen, antwortet sie ihr.
 
Hedwig: Ich habe keine Lust.
 
Die Freundin kommt nun zum Tisch.
 
Freundin: Wie bitte? In zwei Monaten ist die Olympiade. Da wird dir nichts geschenkt. Du solltest die verbleibende Zeit zum Training nutzen.
 
Hedwig: Ach was soll das. Es ist doch sowieso alles sinnlos. Ich werde ja doch nicht fahren.
 
Nun baut sich die Freundin vor dem Tisch auf und stützt sich auf ihn.
 
Freundin: Sag mal, was soll das heißen, du wirst nicht fahren? Natürlich wirst du fahren. Du bist die beste Tennisspielerin in ganz Deutschland.
 
Hedwig: Als ob das was zählt. Vor vier Jahren schrieb die Rheinisch-Westfälische Rundschau: „Ein deutscher Verein oder ein Deutscher, welcher seinem Land die Schmach antut, die olympischen Spiele zu fördern oder zu besuchen, verdient, mit Schande aus seinem Kreise und seinem Volke ausgestoßen zu werden.“
 
Freundin: Das ist Schnee von gestern.
 
Hedwig: Das ist kein Schnee von gestern. Grundsätzlich hat sich doch nichts geändert. Liest du keine Zeitungen?
 
Freundin: Meine Güte! Lass dich nicht einschüchtern. Weil die Presseheinis nicht wissen, mit was sie die Seiten zugeschmiert bekommen, wirst du doch nicht auf deine Olympiateilnahme verzichten. Papier ist geduldig. Heute hetzen die Zeitungen gegen die vaterlandslosen Gesellen, morgen geifern die Schlagzeilen über ein anderes Thema und übermorgen wissen die Schreiberlinge selbst nicht mehr, was gestern in ihrem Käseblättchen stand. 
 
Hedwig: Ganz so leicht kann man die Sache nicht abtun. Sogar Dr. Gebhardt hat uns von einer Teilnahme abgeraten. Die Golferinnen verzichten bereits auf ihren Start. Golf und Tennis seien unweiblich. Nur Mannweiber würden Sport treiben. Eventuell werden bei schnellen Bewegungen die Fesseln sichtbar. Wir könnten vielleicht sogar Muskeln bekommen ......
 
Freundin: und die hoffentlich gegen die engstirnigen, verbohrten Mannsbilder einsetzen? Das geht natürlich nicht. Pfui Teufel! Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das wirklich Dr. Gebhardts Meinung sein soll. Schließlich hat er sich nicht nur für Olympia stark gemacht, sondern auch für den Frauensport.
 
Hedwig: Natürlich ist es nicht seine Meinung. Aber einige Herren der Schöpfung befürchten anscheinend, dass die Frauen möglicherweise bessere Leistungen im Sport erreichen als sie selber. Das kratzt ihnen an ihrer Männlichkeit. Deswegen wollen sie nicht, dass Frauen in der deutschen Mannschaft mit antreten.
 
Freundin: Denken denn so alle deutschen Sportler? Du bist doch mit etlichen befreundet?
 
Hedwig: Nein, gottlob nicht. Viele schämen sich für diese Entscheidung und wagen es kaum noch, mir gerade in die Augen zu schauen. Aber vor vier Jahren sperrte man die deutschen Olympioniken nach ihrer Heimkehr 18 Monate lang für sämtliche Wettkämpfe, weil sie an den olympischen Spielen in Athen teilnahmen. Dulden sie eine Frau in der Mannschaft, dürften die Strafen diesmal erheblich härter ausfallen.
 
Freundin: Das ist ausgesprochen feige und unsportlich. Hätten sie das verkehrte Geschlecht erwischt, was würden sie jammern und palavern, so im Stich gelassen zu werden. 
 
Hedwig: Das ist bei weitem nicht alles. Dr. Gebhardt weiß nicht, wie er mich schützen soll. Man will mich ausbürgern, wenn ich in Paris spiele. Es wird sogar mit Gefängnis gedroht wegen undeutschem Verhalten und unsittlichem Benehmen.
 
Stößt mit einer abwehrenden Handbewegung ihren Tennisschläger vom Stuhl auf den Boden.
 
Freundin: Oh — da fährt man ja richtig schwere Geschütze auf, um derartig gefährliche Tennisbälle, weil geschlagen von Frauenhand, zu stoppen. 
 
Bückt sich und hebt Hedwigs Tennisschläger auf.
 
Freundin: Mir fällt gerade etwas ein. Deine Großeltern wohnen doch in Böhmen?
 
Hedwig: Wie kommst du jetzt auf meine Großeltern zu sprechen?
 
Freundin: Hah! Die Böhmen sind begeistert von der olympischen Idee. Zwei Sportler bilden bisher die böhmische Olympiamannschaft. Sie werden sich über eine Verstärkung freuen und sie haben nichts gegen Frauensport. Du fährst nach Paris. 
 
Hält demonstrativ Hedwigs Tennisschläger ihr entgegen.
 
Freundin: Und gewinnst für Böhmen.
 
Hedwig: Ja meinst du, das geht?
 
Freundin: Sicher geht es! Und in Deutschland können sie dich mal kreuzweise gerne haben. 
 
Während Hedwig und die Freundin die Bühne verlassen, erscheinen von mehreren Seiten Zeitungsjungen mit Zeitungen im Arm im Vordergrund der Bühne und schreien beim Laufen die Schlagzeilen heraus.
 
Zeitungsjunge: Extrablatt, Extrablatt! Hedwig Rosenbaum erobert die Herzen der Pariser im Sturm. 
 
Zeitungsjunge: Extrablatt, Extrablatt! Böhmen feiert seine Tenniskönigin.
 
Zeitungsjunge: Extrablatt, Extrablatt! Hedwig Rosenbaum erkämpft zwei dritte Plätze für Böhmen im Tennis. 
 
Zeitungsjunge: Extrablatt, Extrablatt!  Böhmen im Freudentaumel über olympische Medaillen.
 
Zeitungsjunge: Extrablatt, Extrablatt! Zweimal Edelmetall bei Olympia für das kleine Land Böhmen.
 
Beim Abgang von der Bühne werden die Rufe leiser.
 
Zeitungsjunge: Extrablatt, Extrablatt! 
 
Zeitungsjunge: Extrablatt, Extrablatt! 
 
Zeitungsjunge: Extrablatt, Extrablatt! 

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