Gedanken zur Rütli-Schule 2006
 
 
"Wir sind doch sowieso der Abschaum der Gesellschaft. Wir haben eh keine Chance!" Dieser Kommentar stammte von einem Schüler einer Neuköllner Hauptschule (Heinrich-Göbel-Oberschule). Der Schüler war kein Migrant, sondern Deutscher, denn an dieser Schule gab es noch kein Migranten"problem". Und der Kommentar stammt nicht aus dem Jahre 2006, sondern aus dem Jahr 1970. Damalige Schulsituation: zwei engagierte Lehrer, die den Schülern zu verstehen gaben, dass sie in ihren Augen nicht Abschaum sind. Ein engagierter Lehrer, der aber am liebsten Schülerinnen bekrabbelte. Der Rest der Lehrer: frustriert, verbittert, dass sie an dieser Schule gelandet waren und keine Hoffnung hatten, da wegzukommen. Wegzukommen von den Pennerkindern, die sowieso zu Allem zu blöde sind. Eins der Pennerkinder war ich.
 
Ein Großteil der Lehrerschaft waren Übriggebliebene und machten aus ihrer Nazigesinnung kein Hehl. Einer trug unterm Revers zu Führers Geburtstag das NSDAP-Parteiabzeichen. Das Schulgebäude damals trist, grau, freudlos. Die Ausstattung veraltert, defekt, unvollständig. Warum Geld investieren, wenn die dussligen Gören sowieso nichts lernen wollen? Interesse am Lernen wecken - Fehlanzeige. Wertschätzung oder zumindest Akzeptanz - Fehlanzeige. Ich hatte das Wahnsinnsglück, die beiden engagierten Lehrer zu erwischen, die mir etwas zutrauten, trotz meiner katastrophalen Lebensumstände.
 
Hauptschulabschluss gemacht mit 3.8 Notendurchschnitt, Realschulabschluss neben Vollbeschäftigung nachgemacht mit 3,2, Abitur nachgeholt mit Vollbeschäftigung Schnitt 1,6. Wenn ich auf meine Hauptschulzeit in Neukölln zurückblicke, empfinde ich heute noch Wut. Abgestempelt, ausgegrenzt, chancenlos, verwahrt.
 
In der 7. Und 8. Klasse monatelang Schule geschwänzt. Warum? Angst! Wehe, man beherrschte nicht die Sprache der Straße. Grenzenlose Angst! Vor gewalttätigen Mitschülern und den Lehrern, die nicht sehen wollten. Zwei Lehrer mit einem Minimum an Engagment stellten die Weichen, dass ich mir Chancen erarbeitete. 
 
Heute, als Lehrerin, blicke ich auf die früheren Lehrer, bis auf die zwei Ausnahmen, voller Verachtung zurück. Und bin misstrauisch geblieben gegen diese Zunft und ihren schönen Worten: Gegenüber Eltern, Kollegen, in der Öffentlichkeit.
 
Anscheinend hat sich in den letzten dreißig Jahren wenig getan. Und für mich ist es kein Migrantenproblem, außer, dass die Schüler ausländischer Herkunft noch mehr Schwierigkeiten haben, sich zu wehren oder zu erkennen, wer wirklich die Versager sind. Wo liegt denn dann das Problem?
 
Das Schulsystem baut nachwievor auf Ausgrenzung. Wer auf der Hauptschule landet, weiß, dass er versagt hat. An der Bildung wird seit Jahren gespart und wo wohl als Erstes? Stundenpläne, Ausfallzeiten, Fächerabgrenzungen etc, etc - wer das zwischen einer Hauptschule und einem Gymnasium vergleicht, wird schnell erkennen, wie es wirklich in Deutschland um Chancengleichheit bestellt ist.
 
Dann sehe man sich mal die Studiengänge an. Sonderpädagogen mit dem Fach Geschichte werden zu Historikern, brauchen für das Studium das Latinum. Damit sie später mit den Schülern an den Sonderschulen für Geistig- oder Lernbehinderte beispielsweise mittelalterliche Urkunden übersetzen können? Du lernst an der Uni den letzten Scheiß, Fachwissen, was niemals in der Praxis gefordert wird.
 
Pädagogik, Konfliktlösung, Wertschätzung, soziale Kompetenz - ja, wozu denn? Im Studium sitzen grüne Jüngelchen aus gutbürgerlichen Familien, zuerst willig, engagiert und mit tausend guten Ideen. Bis sie in die Realität geschmissen werden - überfordert leichtes Opfer für abgestumpfte Lehrerkollegien. Und wer etwas auf sich hält und meint, dass er halbwegs intelligent sei, strebt eh eine Laufbahn fürs Gymnasium an. Die "Versager" sind dann für die Hauptschulen gerade gut genug. Und wehe, du beherrschst an der Uni die Sprache der Straße - mein Gott, was für ein Prolet! Immerhin erreiche ich meine Schüler notfalls über meine Proletensprache, die Gymnasium und Uni mir so mühsam abgewöhnen wollten und habe nie vergessen, woher ich kam: Von der Heinrich-Göbel-Oberschule in Berlin-Neukölln. Damit ist meine Parteilichkeit restlos geklärt.
 
Und nun zur Rütli-Oberschule. Was haben sich die Lehrer mit ihrem offenen Brief eigentlich gedacht? Ein Jugendlicher formulierte es ganz klar: "Jetzt ist die Schule bundesweit bekannt. Mit einem Abschlusszeugnis dieser Schule kannst du dich doch nirgends mehr bewerben." An Durchblick fehlte es diesem Jugendlichen wohl kaum, aber offensichtlich den Lehrern an solidarischem Verhalten.
 
Wobei zu bemerken ist, dass eigentlich der Brief des Kollegiums inhaltlich akzeptabel gewesen wäre. Tja - wenn sie diesen Brief nicht öffentlich gemacht hätten. War ihnen denn nicht klar, was die Presse daraus macht? Und was sie damit ihren Schülern antun? Die Probleme von Rütli sind überall. Aber bitteschön, damit, dass man die Schüler mit den Rücken an die Wand stellt, erreicht man nichts. Das zeugt auch von wenig Wertschätzung gegenüber den Schülern.
 

 

"Wie in der Schulleitersitzung am 21.2.06 geschildert, hat sich die Zusammensetzung unserer Schülerschaft in den letzten Jahren dahingehend verändert, dass der Anteil der Schüler/innen mit arabischem Migrationshintergrund inzwischen am höchsten ist. Er beträgt zurzeit 34,9 %, gefolgt von 26,1 Prozent mit türkischem Migrationshintergrund. Der Gesamtanteil der Jugendlichen n.d.H. (nicht deutscher Herkunft) beträgt 83,2 %. Die Statistik zeigt, dass an unserer Schule der Anteil der Schüler/innen mit arabischem Migrationshintergrund in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist. (....)

In unserer Schule gibt es keine/n Mitarbeiter/in aus anderen Kulturkreisen. Wir müssen feststellen, dass die Stimmung in einigen Klassen zurzeit geprägt ist von Aggressivität, Respektlosigkeit und Ignoranz uns Erwachsenen gegenüber.

Notwendiges Unterrichtsmaterial wird nur von wenigen Schüler/innen mitgebracht. Die Gewaltbereitschaft gegen Sachen wächst: Türen werden eingetreten, Papierkörbe als Fußbälle missbraucht, Knallkörper gezündet und Bilderrahmen von den Flurwänden gerissen.

Werden Schüler/innen zur Rede gestellt, schützen sie sich gegenseitig. Täter können in den wenigsten Fällen ermittelt werden.

Laut Aussage eines Schülers gilt es als besondere Anerkennung im Kiez, wenn aus einer Schule möglichst viele negative Schlagzeilen in der Presse erscheinen. (...)

Unsere Bemühungen die Einhaltung der Regeln durchzusetzen, treffen auf starken Widerstand der Schüler/innen. Diesen Widerstand zu überwinden wird immer schwieriger. In vielen Klassen ist das Verhalten im Unterricht geprägt durch totale Ablehnung des Unterrichtsstoffes und menschenverachtendes Auftreten. Lehrkräfte werden gar nicht wahrgenommen, Gegenstände fliegen zielgerichtet gegen Lehrkräfte durch die Klassen, Anweisungen werden ignoriert.

Einige Kollegen/innen gehen nur noch mit dem Handy in bestimmte Klassen, damit sie über Funk Hilfe holen können.

Die Folge ist, dass Kollegen/innen am Rande ihrer Kräfte sind.

Entsprechend hoch ist auch der Krankenstand, der im 1. Halbjahr 05/06 höher war als der der Schüler/innen. (...) Einige Kollegen/innen stellen seit Jahren Umsetzungsanträge, denen nicht entsprochen wird, da keine Ersatzkräfte gefunden werden.

Auch von den Eltern bekamen wir bisher wenig Unterstützung in unserem Bemühen, Normen und Regeln durchzusetzen. Termine werden nicht wahrgenommen, Telefonate scheitern am mangelnden Sprachverständnis.

Wir sind ratlos.

Über das QM (Quartiersmanagement) haben wir zwei Sozialarbeiter/innen mit türkischem und arabischem Migrationshintergrund beantragt, um vor allem mit den Eltern ins Gespräch zu kommen. Aber diese Maßnahme allein wird die Situation nicht deeskalieren.

Seit Anfang dieses Schuljahres (05/06) ist die Schulleiterin erkrankt und wird in den vorzeitigen Ruhestand gehen. Die erweiterte Schulleitung, bestehend aus vier Lehrer/innen, hat bis Dezember 05 die Schule geleitet, dann wurde eine kommissarische Schulleiterin aus diesem Kreise ernannt.

Wenn wir uns die Entwicklung unserer Schule in den letzten Jahren ansehen, so müssen wir feststellen, dass die Hauptschule am Ende der Sackgasse angekommen ist und es keine Wendemöglichkeit mehr gibt.

Welchen Sinn macht es, dass in einer Schule alle Schüler/innen gesammelt werden, die weder von den Eltern noch von der Wirtschaft Perspektiven aufgezeigt bekommen, um ihr Leben sinnvoll gestalten zu können.

In den meisten Familien sind unsere Schüler/innen die einzigen, die morgens aufstehen. Wie sollen wir ihnen erklären, dass es trotzdem wichtig ist, in der Schule zu sein und einen Abschluss anzustreben? Die Schüler/innen sind vor allem damit beschäftigt, sich das neueste Handy zu organisieren, ihr Outfit so zu gestalten, dass sie nicht verlacht werden, damit sie dazugehören. Schule ist für sie auch Schauplatz und Machtkampf um Anerkennung.

Der Intensivtäter wird zum Vorbild. Es gibt für sie in der Schule keine positiven Vorbilder. Sie sind unter sich und lernen Jugendliche, die anders leben, gar nicht kennen. Hauptschule isoliert sie, sie fühlen sich ausgesondert und benehmen sich entsprechend.

Deshalb kann jede Hilfe für unsere Schule nur bedeuten, die aktuelle Situation erträglicher zu machen. Perspektivisch muss die Hauptschule in dieser Zusammensetzung aufgelöst werden zu Gunsten einer neuen Schulform mit gänzlich neuer Zusammensetzung.

Kurzfristig brauchen wir eine Erhöhung der Lehrer/innenausstattung, um Ruhe in den Schulalltag zu bringen, der, wie oben erwähnt, geprägt ist durch Unterrichtsausfall und Vertretungsunterricht. (...)

Wir brauchen die tägliche Präsenz einer Fachkraft, die uns bei Deeskalation und Krisenintervention hilft. (...)

2009 wird unser Schulgebäude 100 Jahre alt und wir hoffen, dass bis dahin eine Schule geschaffen werden kann, in der Schüler/innen und Lehrer/innen Freude am Lernen bzw. Lehren haben."

 

 

 
Es wird Zeit, dass Lehrer und Schüler insgesamt ihre Situation begreifen und auch zusammen halten. Und gemeinsam Ursachen erkennen und gegen die Missstände ankämpfen:
 
1. Das Schulsystem in Deutschland ist zum Scheitern verurteilt, weil es ausgrenzt.
 
2. Die Lehrerausbildung in Deutschland ist zum Scheitern verurteilt, weil Fachidioten ausgebildet und soziale Kompetenzen radikal vernachlässigt werden.
 
3. Die Integration in Deutschland ist zum Scheitern verurteilt, weil Migranten in die Rolle der früheren Unterschicht gezwungen werden. Zuerst waren es die Frauen, die man als beliebige Masse in den Arbeitsmarkt schieben oder ausschließen konnte. Dann die Unterschicht. Jetzt die "Migranten". 
 
4. Angesichts der demographischen Entwicklung ist es reine Dummheit, die Integration nicht voranzutreiben. Und zwar über einen bezahlbaren Preis - für beide Seiten. 
 
5. Die Schulpolitik in Deutschland ist zum Scheitern verurteilt, weil sie nur reagiert statt reformiert.
 
6. Die Eltern in Deutschland sind mit ihrem Erziehungsauftrag zum Scheitern verurteilt, weil sie als Eltern nur Benachteiligungen durch ihre Kinder erfahren. Setze Kinder in die Welt und dein Armutsrisiko steigt.
 
7. Und wenn es so weitergeht, ist Deutschland zum Scheitern verurteilt, weil die Ressourcen der Jugendlichen nicht genutzt werden. Die alten Säcke kleben an ihren Pöstchen und der Macht und denken gar nicht daran, irgendetwas zu verändern, solange sie sich auf Kosten Anderer bereichern können.
 
Ich hoffe, dass alle Beteiligten etwas daraus gelernt haben. Und als Allererstes, dass sensationsgeile Zeitungsfuzzis die verkehrte Adresse sind, um Missstände abzustellen. Für die Zukunft würde ich mir sehr wünschen, dass Schulprobleme der Hauptschulen nicht an „Migranten“ festgemacht werden. Wir leben nämlich nicht mehr in den 60er Jahren, als unsere Wirtschaft ungeniert Arbeitnehmer anwarb, ohne die sie niemals hätte bestehen können. Es gab nur einen Schönheitsfehler: Man wollte Maschinen, aber es kamen Menschen. Und eigentlich hätte man das wissen müssen. Es ist schon ganz schön peinlich, wenn das Volk der Dichter und Denker, Betonung liegt auf Denker, nach über drei Jahrzehnten immer noch nicht begriffen hat, dass Migranten Menschen sind.
 
 


 
 

Kinder sind unsere Zukunft!

Oh, wie ist mir bange vor morgen!

 

Psychische Gewalt: Alltag für Millionen Kinder.

Körperliche Misshandlung: Trotz aller Gesetze "Normalität".

Sexueller Missbrauch: Immer noch ein "Kavaliersdelikt".

Soziale Gewalt: Kinder zu haben ist das größte Armutsrisiko in einem der reichsten Länder.

Hunger: Viele Kinder in der dritten Welt verhungern und wir schauen weg.

Arbeit: Kinderarbeit wird von uns unterstützt, denn wir kaufen, was Kinder für einen Hungerlohn unter widrigsten Arbeitsbedingungen herstellten.

Drogen: Kinder erfahren keinen weitreichenden Schutz vor "legalen" und illegalen Drogen.

Gewalt durch Konsum: Wehe, ein Kind kann mit den "Markenartikeln" nicht mithalten.

Internet: Verbreitung von Kinderpornographie und Konfrontation von Kindern mit pornographischen Inhalten.

Behinderung: "Behinderte" Kinder werden in ihrer Entwicklung ständig behindert.

Einzelkinder, Schlüsselkinder, Scheidungskinder, luxusverwahrloste Kinder, arme Kinder...........

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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